"Er ist jetzt plötzlich so glücklich!"

Vor einigen Jahren hatten wir bei der Arbeit gekämpft. Ich. Die Sozialpädagogin. Die Lehrerin. Die Studienleiterin. Der Direktor.

Zuerst mit der Mutter, dann später auch mit der Dame aus dem Jugendamt (heisst bei uns Kinderschutz, aber ist wohl dasselbe). "Wieso sagt ihr, dieses Kind ist schlechter als die anderen, nur weil er aus einer armen Familie kommt? Ja, die Mutter hat eine psychische Erkrankung, aber sie ist doch so eine nette Frau..."

Das Kind war nicht schlechter als die anderen. Es war ein Tornado, den kein Mensch zu bändigen wusste. Er hatte nämlich Autismus mit allem Drum und Dran. Schon am ersten Tag war die Aufregung für ihn zu viel. Er wollte nur in der Spielecke sitzen und mit seinem Kuschltier schmusen. Er wiederholte Wörter, pausenlos, stundenlang. Und er hat andere Kinder angegriffen, einfach so.

Schon im Kindergarten hatten die Erzieherinnen der Mutter gesagt, der Junge soll bitte in eine Sonderschule gehen, wo Spezialisten ihn helfen und ihm auch Dinge beibringen können. Nein, entschied sich die Mama. Mein Sohn wird auf eine ganz normale Schule gehen! Übrigens hatte die Sonderschule bei uns angerufen und gebeten, dass wir den Jungen doch endlich mal zu ihnen schicken. Es gab für ihn einen guten Platz dort.

Wir sprachen mit der Mutter. Sie heulte. Laut und dramatisch. Wir baten sie, doch wieder zum Kinderpsychiater zu gehen und sich beraten zu lassen. Die Mutter schrie. Der Sohn - sieben Jahre alt, aber sehr gross und sehr, sehr stark - stand daneben und wiederholte Sätze, die er aus dem Fernseher kannte. Natürlich konnte er nicht verstehen, was los ist.

Dann schrieben wir eine Beschreibung über den Jungen. Damit es alle Psychiater oder sonstwer lessen können - dass wir nicht der Familie etwas antun wollen, sondern dass es wirklich ein Sorgenkind ist. Der Opa hat es gelesen und ist prompt mit den Papieren und dem Kind ins Krankenhaus gefahren - die sollen doch beweisen, dass der Junge ganz normal ist. Es passiert selten, dass ein Kind sofost in der Kinderpsychiatrie aufgenommen wird, es sei denn, es hat Suizid vesucht. Zwei Wochen war dieser Junge da. Fazit: Autismus. Kann nicht auf eine durchschnittliche Schule gehen, braucht Ruhe und Zweisamkeit mit dem Lehrer.

Es vergingen noch mehrere sehr schwierige Monate. Wir flehten die Mutter an. Sie heulte. Dann hatten wir endlich einen Termin bei der Sonderschule. Die Mutter kam nicht. Die verantwortliche Dame (die übrigens nicht in ideser Sonderschule tätig ist, aber immer zu diese Termine kommt) stand auf und sagte: "Die Mutter ist nicht da, wir werden es nicht ohne Mutter besprechen." Unsere Sozialpädagogin blieb sitzen und sagte: "Wir gehen nirgends hin, dieses Kind braucht Hilfe und zwar sofort!" So ging es hin und her, bis es doch entschieden wurde, dass der Junge dorthin gehört, wo er Hilfe kriegt.

Zwei Wochen nach dem Schulwechsel traf die Studienleiterin die Mutter zufällig auf der Strasse. "Mein Sohn ist jetzt plötzlich sooo glücklich!" strahlte die Mutter unsere Studienleiterin an. Die Studienleiteren hat nicht gesagt, dass es schon vor einem halben Jahr so hätte sein können… Wäre die Mutter nur mit der Sonderschule einverstanden gewesen. Der Junge hatte ein ganzes Schuljahr verloren, nur weil die Mutter nicht einverstanden war.

So geht es in einem Land, wo die Eltern bei allen Entscheidungen die Wichtigsten sind. In den meisten Fällen ist es ja sehr gut, denn jedes Elternteil wünscht nur das Beste für sein Kind... und dann gibt es diese Einzelfälle, wo die Eltern und auch das Kind im Alltag Hilfe brauchen und die Eltern eigentlich nicht imstande sind, Entscheidungen zu treffen. Für so etwas haben wir kein Gesetz. Nur, dass wir nie, nie, nie gegen den Willen der Eltern gehen dürfen. Wir machen es manchmal trotzdem, denn in manchen Fällen braucht das Kind Schutz von den Eltern. Auch wenn es von ihnen körperlich schön sauber und materiell versorgt wird.

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