Was ich an Deutschen nicht so gut verstehe (oder doch)

Vielleicht werde ich damit jetzt etwas unpopulär. Ist nicht schlimm.

Meiner Erfahrung nach sind die Deutschen im Allgemeinen ja nett. Wenn ich kann, suche ich mir ja auch nur Leute aus, mit denen wir etwas Gemeinsames haben können, dann ist es einfacher. Und in den letzten Jahren sind unsere Kinder ja auch ziemlich niedlich gewesen, besonders, wenn sie auch selbst etwas auf Deutsch erzählen können.

Aber. Es gibt trotzdem kulturelle oder sonstwoherkommende Unterschiede, die ich einfach nicht verstehe. Oder muss ich erstmal nachdenken und dann kann ich es schon verstehen (muss ich aber nicht unbedingt mögen oder mitmachen!).

1. Gartenzwerge.

2. Deko, Deko, Deko! Zugegeben, es ist schon hübsch, wenn es irgendwo etwas Unpraktisches liegen hat (dent an die eigene Schafskollektion - Keramikschafe im Bad, Plüschschafe im Wohnzimmer…), aber es gibt ja in Deutschland Leute, die wechseln ihr Deko jeden Monat oder so. Ich finde schon, dass eine  Weihnachtstischdecke für mich Riesenaufwand bedeutet… vielleicht bin ich doch für den "skandinavischen Stil", das eigentlich sehr viel Leere im Zimmer bedeutet.

3. Pünktlichkeit. Mittagessen muss punkt 13 Uhr sein, sonst stirbt der Deutsche. Andererseits haben wir letztes Jahr mit der Deutschen Bahn eine verkehrte Erfahrung gehabt, an einem Tag in der ersten Julihälfte funktionierte zwischen Köln und Gummersbach fast nichts.

4. Putzen. Es ist wunderschön, dass es in Deutschland (fast) überall so sauber ist, aber ich könnte es nicht nachmachen. Dabei ist es aber komisch, dass es in vielen deutschen Museen und öffentlichen Toiletten nur kaltes Wasser und kaum Seife zum Händewashen gegeben hat - vielleicht ändert sich da etwas mit Corona.

5. Besserwisser. Das ist jetzt nicht so böse gemeint, aber irgendwann hat jeder Deutsche, besonders, wenn er /sie älter ist als ich, versucht, mir etwas Selbstverständliches zu erklären. Sie haben es auch nicht böse gemeint, aber vielleicht gibt es da einen Zusammenhang mit der Idee, Estland sei Osteuropa? Ich würde auch einem Chinesen oder Amerikaner alles erklären, die können ja nicht wissen, wie die Dinge in einem zivilisierten Land (=nord- und mitteleuropäische Länder) vor sich gehen!

6. Hartes Brot. Eher verstehe ich Gartenzwerge. Schwarz- und Graubrot (Bauernbrot und wasnoch)wird ungeschnitten gekauft und so in der Luft gehalten, dass es hart wird. Und dann erwartet man von der Familie und den Gästen, dass sie sich damit Zähne ausbeissen! Wenn hier Brot hart wird, dann isst es kein Mensch mehr. Es sei denn, man ist in sehr schlimmen finanziellen Schwierigkeiten. Geschmacklich ist es ja in Ordnung, aber ich mag meine Zähne ganz lassen.

7. Dass Kinder jederzeit zu den Eltern ins Bad dürfen und dann noch rumerzählen, was sie dort alles gesehen haben. Auch wenn es um Tamponwechsel geht. Ich glaube nicht, dass es dem Kind schaden würde, aber jedes Elternteil hat Recht, auf der Toilette allein sein zu dürfen. Meine Kinder haben auch hinter der Badezimmertür geheult, aber nach dem vierten oder fünften Mal haben sie verstanden, dass Mama wirklich schnell wieder kommt und später war es auch kein Problem, für fünf Minuten nach draussen zu gehen (Post abholen, Brennholz holen, irgendwas in der Garage tun oder noch einen Handvoll Salat in Garten zu pflücken z. B.). Sie haben gewusst, was "Ich gehe mal kurz…" bedeutet, und dass man sich während dieser Zeit nicht umbringen sollte.

8. Theaterbesuche, oder eigentlich die Kleidung. Wenn man hier ins Theater geht, ist das etwas Festliches. Männer tragen Anzug, oder wenigstens Sakko und Kravatte, auch sehr kleine, sehr junge Männer. Frauen tragen ein hübsches Kleid, Perlen, Spitze. Natürlich darf man mit T-Shirt hingehen, aber das ist wirklich nicht höflich. In Deutschland, habe ich gehört, kommt keine Mutter darauf, ihre Kinder für ein Theaterbesuch schön anzuziehen. Wann tragen die kleinen Jungs denn schöne Anzüge? Nur bei Hochzeit der Lieblingstante? Oder ist meie Informationsquelle nicht so ricthig gewesen?

9. Naturliebe. Das kann ich eigentlich doch einigermassen verstehen. Ich würde niemals im Garten ein putziges Insektenhotel aufstellen, denn bei uns im Wald gibt es sehr, sehr viele rottende Baumstämme, wo die Insekten sich viel besseren Lebensraum finden. Würde ich irgendwo in der Grosstadt wohnen, wäre es schon anders. In Estland haben wir ja auch sehr viel Wald, Sümpfe und Wiesen, in Deutschland gibt es doch weniger davon. Aber wenn jemand sagt, wie toll es ist, dass wir hier Wespen oder Kreuzotter haben, dann hat der/die halt keine Ahnung, was ein unglückliches Treffen mit so einem Giftvieh bedeutet (der Älteste lag vor 6 Jahren nach einem unprovozierten Kreuzotterbiss eine Woche lang im Krankenhaus und sowohl Der Mann als der Mittlere sind lebensbedrohlich allergisch gegen Wespen- und Hornissenstiche… da sind mir Menschenleben schon viel wertvoller). Ihr könnt aber gern alle sofort hierher kommen, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden. Wir haben gaaaaaanz viel unberührtes Natur, wo man sich alles Summende, Kriechende, Hüpfende und Gackernde ansehen kann. Viel Mückenschutz werdet Ihr brauchen und Gummistiefel, auch gegen Schlangen, aber viel mehr gegen Zecken. Und schnell rennen können, wenn Ihnen ein Bär oder ein schlechtgelaunter Elch über dem Weg läuft, das kommt auch ab und zu vor. Sonst ist das Leben mit ganz viel Natur aber ziemlich schön.

10. Mietwohnungen. Ich habe keine Ahnung von den Bankverfahren oder Verträgen in Deutschland. Wir Esten sind aber eine Hausbesitzernation. Und Wohnungsbesitzernation. Deswegen gucke ich immer komisch, wenn jemand mich fragt, wie hoch sind die Mieten in Estland. Niemand mietet! Nur, na ja, sehr junge Leute und diejenige, die gerade in einer Katastrophe stecken - nach der Trennung zum Beispiel. Aber so schnell es möglich ist, kauft der Este sich eine Wohnung oder ein Haus. Warum die Deutschen so oft mieten, hat mir bisher niemand erklären können.

Na ja, würden wir irgendwann mit der ganzen Sippe nach Deutschland ziehen, würden wir auch mieten… vielleicht ein Reihenhaus, mit 3 Kinder ist es sonst nicht so einfach. Und Insektenhotel im Gärtchen. Aber hartes Brot und Zuschauer auf der Toilette würde es trotzdem nicht geben.

Comments

  1. Oh oh oh das sind aber viele Vorurteile !
    Man muss nicht alles glauben was man erzählt erhält ....

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    1. Ich würde es auch nicht glauben, es sind aber alle persönliche Erfahrungen mit so etwa 400-500 Momente mit Deutschen aus allen Altersgruppen, Orten und Kontaktmöglichkeiten (Reisende in Estland, Gastgeber in Deutschland, Beamter, Polizisten, Lehrkräfte, Leute aus der Kirche, Blogs, Nachrichten…). Eigentlich keine Vorurteile (wie etwas Böses) an sich, sondern die Momente, wo ich immer überrascht bin, weil ich nicht weiss, wie ich darauf reagieren soll . Die Deutschen haben das estnische Kultur so über Jahrhunderte geprägt, man könnte glauben, wir verstehen uns... aber es gibt doch so viele Unterschiede.

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  2. Das mit den Gartenzwergen hat sich - glaube ich zumindest- erledigt. Habe schon ewig nirgendwo einen gesehen (und ich wohne auf dem Land 😉) Bei dem Zuviel an Deko und der Diskrepanz zwischen Sauberkeit und kaltem Wasser stimme ich Dir voll und ganz zu. Und wann sich das „schön anziehen für den Theaterbesuch“ verändert hat, weiß ich leider nicht. Es ist irgendwann gekippt - da standen dann Jeans neben dem langen Kleid und es wurde akzeptiert.

    Herzliche Grüße

    Andrea

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