O Tannenbaum (oder: wie es hier bei uns weihnachtet)

In meiner Kindheit war Weihnachten Feiern in Estland fast verboten. "Fast" heisst, dass dei Schulen erst nach Weihnachtstage Ferien hatten. Dass nur wenige Kinder über Weihnachtsgeschenke erzählten. Dass es keine Weihnachtslieder gab und dass kein Mensch sich in die Kirche traute - wenigstens nicht, wenn der Vater 14 Jahre in Sibirien verbracht hatte wie bei mir. Zu Hause hatten wir doch etwas.

Der Weihnachtsbaum wurde am 24. Dezember aufgestellt und geschmückt. Oma hat in ihrem alten Radioapparat finnische Radiosender aufgesucht, die spielten Weihnachtsmusik. Es gab Weihnachtsessen - Blutwurst mit Sauerkraut. Habe ich nicht gemocht. :) Geschenke gab es erst am Silvesterabend, aber manchmal sind wir am Weihnachtsabend auf den Friedhof gegangen, um auf den Graben von Mutters Schwester, die in der Nachkriegszeit an Tetanus starb, und anderen Verwandten Kerzen anzuzünden. Über Jesu Geburt habe ich damals nichts gewusst.

Als ich mit Dem Mann zusammengezogen bin, haben wir sehr bald Das Haus gekauft und auch gewusst, dass wir bestimmt unsere eigenen Traditionen haben wollen. Dann kamen Kinder dazu...

Es fängt an mit der Adventszeit. Ich halte nichts von Weihnachtsdeko zu Hause, denn Aufräumen und Dekorieren sind nicht so mein Ding, aber irgendwas muss auf dem Esstisch sein. Vier Kerzen, natürlich, jedes Jahr etwas anders, jedes Jahr ähnlich. Dieses Jahr probiere ich es mit einem grossen Kerzenständer aus, ist doch nicht so nett wie die kleinen dicken Kerzen.

Das hatte ich 2012 - Kerzen und Kugeln im Nest aus Geschenkpapier, eine weisse Tischdecke, fertig.

Dann gibt es Adventssüssigkeiten. In Estland wird nämlich erzählt, dass die Wichtelmännchen jede Nacht in die Häuser einschleichen und den Kindern Süssigkeitein bringen. Dazu muss das Kind seine Hausschuhe aud das Fensterbrett stellen und natürlich tagsüber lieb sein. Die estnischen Eltern sind sehr gut im Schleichen und nicht-Schreien, wenn sie auf ein Legostück treten. :) Die meisten christlichen Familien, die wir kennen, machen es so mit - denn im Kindergarten und in der Schule fragen andere Kinder, ob die Wichtelmännchen schon kommen? Und bei dir auch? -, dass sie den Kindern über Weihnachtsengel erzählen. Engel gibt es ja wirklich, Wichtelmännchen... nicht so. Bei uns gibt es ab dem 1. Advent jeden Morgen ein Konfekt für jedes Kind auf dem Esstisch. Es wurde viel zu anstrengend mit den Hausschuhen und Herumschleichen, ausserdem wissen die Jungs mittlerweile, woher die Süssigkeiten kommen. :)

Den Tannenbaum stellen wir meistens am 3. Advent auf. Dann gibt es weniger Stress am Weihnachtsabend. Das Haus liegt 300 Meter vom Wald, also dürfen alle Kinder, die wenigstens 7 Jahre alt sind, mit dem Papa in den Wald gehen, um den Baum zu schlagen. Der Wald hier gehört meistens dem Staat und jedes Jahr dürfen Leute sich selber Tannenbäume holen, man kann es per Bankübertragung oder SMS bezahlen (unter dem Link gibt es Preisliste, ven es interessiert, "meetrine" heisst "Meter lang" und "kuusk" ist "Tanne") und es ist empfehlenswert, den Baum irgendwo in der Nähe des Strassenrandes oder unter Stromleitungen zu wählen, die werden sowieso nicht lange leben.

Der Baum wird natürlich geschmückt. Das machen die Kinder mit etwas Hilfe von uns Eltern.

Das war in 2010, dann war der Jüngste noch nicht 2 Jahre alt und das Kaminzimmer, wo der Baum damals stand, gerade fertig geworden.

Vor und um Weihnachten lese ich zu Gute-Nacht-Geschichte - ja, obwohl der Älteste schon fast 13 ist, lese ich noch immer abends vor - Weihnachtbücher vor. Es gibt viele schöne Geschichten von Astrid Lindgren, aber auch "Wo der Weihnachtsmann wohnt" von Mauri Kunnas* und einige christliche Kinderbücher über Jesu Geburt.

Die Bescherung folgt am Abend von 24. Dezember. Traditionell kommt in Estland der Weihnachtsmann ins Haus und fragt alle Kinder (und Erwachsene) ab, ob sie auch schöne Gedichte oder Lieder auswendig kennen. Nur der Opa oder Onkel, der gerade einen akuten  Magen-Darm-Anfall hat oder aus irgendwelchen anderen Gründen kurz weg muss, kann dabei nicht teilnehmen. :) Ich konnte dieses Spiel schon als Kind nicht ausstehen, also gibt es bei uns nur Geschenke unter dem Baum. "Ja, wir müssen dann ins Auto und ihr kommt nach und als wir von der Kirche zurück sind, liegen die Geschenke unter dem Baum," erzählte der Älteste gerade vor ein paar tagen. So ist es, die Kinder schnallen sich ja immer so lange an und zanken sich dabei, da hat kein Erwachsener Geduld, es mitzuhören! Übrigens müssen die Kinder auch an normalen Tagen immer zuerst ins Auto, im Moment fahren wir ein Corsa, da muss der Rücksitz voll sein, bevor jemand sich vorne hinsetzen kann!


Erstmal gehen wir aber in die Kirche. Dieses Bild ist 2013 gemacht, unser Kirchengebäude ist ziemlich modern und es gibt einen grossen Balkon um die Eingangshalle.

Das war letztes Jahr, der Jüngste hat fest vor, die kleine Schwester seines besten Freundes zu heiraten... Mal sehen, was daraus in so 10-12 Jahren wird. :)

Nach der Kirche schauen wir bei meinen Eltern vorbei, denn sie wohnen ja in der gleichen Stadt. Sie haben keine Tanne, denn es macht zu viel Arbeit, und jahrelang hat meine Mutter versucht, uns zum Essen zu übeereden... sie kann und mag nicht kochen. Seufz.
Manchmal gehen wir auch auf den Friedhof und zünden auf dem Grab der Grossmutter des Mannes eine Kerze an. Falls wir beim Friedhof einen Parkplatz finden, es ist dort immer rappelvoll am Heiligabend und falls es Schnee gibt, sieht es auch sehr schön aus (hier kann man ein typisches estnisches Friedhof am Heiligabend sehen, die Fotos sind zwar in Tallinn gemacht, aber es ist überall so) mit all den Lichten.

Geschenke dürfen dann nach der Kirche geöffnet werden. Das war 2012, der Älteste freut sich über einige DVDs. Der rote Kater gehört einem Nachbarn, kommt aber ab und zu zum Essen und Streicheleinheiten zu uns. :)

Das Weihnachtsessen in Estland besteht traditioniell aus Sauerkraut, Blutwurst mit Preiselbeerenmarmelade, Kartoffeln und hartem Lebkuchen zum Nachtisch. Kann ich nicht ausstehen. Also, Sauerkraut ist in Ordnung, aber Blutwurst ist für mich kein Festessen und estnische Lebkuchen sind auch nicht so... Wir müssen ja nicht, wenn wir nicht mögen. Seit Anfang in Dem Haus koche ich englisches Weihnachtsessen und zum Nachtisch backe ich deutsche Kekse. Das heisst Truthahn mit allem drum und dran, plus Schwars-Weiss-Gebäck, Heidesand usw. Ein paar Mal habe ich auch Weihnachtsgans gemacht, aber das ist doch viel zu fett. Ein Truthahn ist aber schön gross, also muss ich am nächsten Tag nichts kochen.

An den folgenden Tagen schauen wir immer Michel-Filme (und jedes Jahr wieder bangen wir um Alfreds Leben im Schneesturm), spielen mit den neuen Sachen - es gibt oft Brettspiele zu Wehnachten - und seit ein paar Jahren besuchen wir auch das Weihnachtsessen in der Gemeinde. Es ist immer eine schöne, gesegnete Zeit gewesen. Das wünsche ich Euch auch!

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*der Amazon-Link ist keine Werbung, es ist einfach ein wirklich nettes Buch, das unsere Kinder lieben.

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