Ein langer Tag

Normalerweise haben wir eine ganz gute Alltagsroutine. Und dann… gibt es Tage, an denen noch etwas dazu kommt. Und noch etwas. Und noch etwas. So wie gestern.

Der Morgen lief so wie immer. Bis etwa Mittag hatte ich einen durchschnittlichen Arbeitstag, dann tauchte ganz plötzlich  eine Mutter auf, die vorher nicht einmal angerufen hatte. Ich hatte zwar freie Zeit, aber grundsätzlich muss man doch einen Termin vereinbaren, es hätte auch so sein können, dass ich gerade sehr beschäftigt bin. Das mit der Mutter und ihren Zwillingstöchtern (die gern oft allein kommen möchten, geht aber nicht so) ging dann etwa anderthalb Stunden, danach war ich völlig erschöpft. Manche Menschen sind eben so. Und ja, eine Psychologin darf auch erschöpft sein.

Ich wollte gerade noch etwas lesen und das Schulhaus dann verlassen - es sollte Stromausfall geben, geplant, wahrscheinlich irgendwelche Kabelreparaturen oder so, und es wurde gestern den ganzen Tag lang nicht richtig hell -, dann kamen der Junge mit ADHD und seine Freundin. Beide etwas schwierig, aber wenn die schon kommen, dann dürfen sie auch bleiben. Wir haben eine Runde Memory gespielt - der Junge hat das Spiel zum ersten Mal gesehen, obwohl er schon 12 ist! Mit ADHD ist das wohl auch nicht das einfachste Spiel. Ich habe gewonnen. :) Das Mädchen klagte, dass sie noch bleiben wolle, bis alles dunkel wird, sie wolle sehen, wie es dann ist bei Stromausfall. Habe ich doch nicht zugelassen… ich musste schon selbst weg.

Dann habe ich meinen Vater zum Supermarkt gefahren. Er will immer am Anfang des Monats sein Kontostand prüfen - ob er noch immer Rente kriegt, er vertraut seine Bank nicht so richtig - und dann wollte er auch etwas einkaufen. Ich habe ihn allein durch den Supermarkt gehen lassen… er ist schon 85 und nicht so sicher auf den Beinen, aber der Einkaufswagen bietet einen guten Halt. Und man kann nie wissen, wann das letzte Mal ist, dass er eigenständig einkaufen kann. Zum Supermarkt spaziert hat er irgendwann im Frühling wohl zum letzten Mal, der Weg dorthin und zurück ist für ihn schon zu lang. Er sah da sehr klein aus mit dem Einkaufswagen…

Vater zu Hause abgesetzt, mit der Mutter etwas geredet, schnell Den Mann bei der Arbeit abholen… bei ihm gab es irgendwelche Probleme mit Technik, die er nicht so einfach beseitigen kann. Es kann sein, dass da im neuen Schulhaus wieder Dinge falsch geplant sind… muss er aber nicht alles alleine machen.

Um 16 Uhr hatte ich einen Termin mit unserem Pastor, mir lag da was schwer auf dem Herzen. Seelsorge nennt man das. Ob es jetzt besser geworden ist, kann ich nicht so sagen, aber Kummer wird etwas kleiner, wenn man es teilt… und er sagte, dass es gut ist, wenn er jetzt über solche Probleme weiss. Unser Pastor ist auch ein guter Freund, so ist es für mich auch schwierig, mit Sorgen zu ihm zu gehen… Ich habe aber betont, dass ich in dieser Situation erstmal nur eine Frau aus der Küche bin, nicht eine Psychologin (es ging um zwischenmenschliche Beziehungen), nicht die Freundin seiner Frau... und schliesslich hat er mich damals getauft. Wir praktisieren Erwachsenentaufe, ich war damals 28 - unser Pastor ist nur ein paar Jahre älter.

Der Mann hatte inzwischen alle Kinder in der Stadt aufgesucht und nach Hause geschickt. Sie sind dann mit dem Bus gefahren und die letzten 500 Meter durch den dunklen Wald und Felder gelaufen… ihre Handys haben Taschenlampen dran und sie waren zu dritt, dann ist es nicht so schlimm.

Denn um halb Sechs gab es Elternabend. Der Mittlere wird nächste Woche drei Tage im Wald verbringen, es ist so ein Programm für die besseren Beziehungen in seiner Klasse. Aber 12jährige Ende November in den Wald schicken macht schon so manchen Müttern Angst. Mir auch, obwohl der Mittlere ja schon in mehreren Camps ohne Mama teilgenommen hat... dann hatte er aber immer einen oder beide Brüder dabei. Na ja, dieses Mal wird er seine Freunde dabei haben und wie man den Ofen heizt, weiss er auch sehr wohl.  Die Kinder werden nämlich zuerst Zug fahren, dann durch den Wald wandern und unterwegs Suppe kochen, am Abend in einem Waldhäuschen ankommen, wo es kein Strom und klein fliessendes Wasser gibt, und dort dann zwei Tage verbringen. Er möchte gern für Holzhacken verantwortlich sein, weil er es gut kann und na ja, Das Mädchen Mit Dem Pferdeschwanz wird auch dabei sein. Der Haken ist, dass die Klassenlehrerin nicht mitgeht, die Gruppenleiter sind für die Kinder ganz fremd. So manche Mütter hatten da ihre Fragen, ich auch - Der Mittlere ist lebensgefährlich allergisch gegen Wespenstiche, und bei uns zu Hause kommen jetzt halbschlafende Wespen mit Brennholz hinein (es war ein sehr intensiver Wespensommer dieses Jahr), das kann ja auch woanders passieren. Die Gruppenleiter sollten aber auch etwas von Medizin verstehen, und mit Allergien können sie auch umgehen, das beruhigt.

Es dauert bis nach Sieben. Ach ja, und da es ja im Schulhaus fast keinen Strom gibt, sitzen wir schön in Dunkeln… es gibt zwei Tischlampen, die aus der Schulkantine Strom kriegen, Schulkantine nämlich kriegt Strom von woanders. Ein Kerzenlichtabend wäre ja auch möglich gewesen. :)

Inzwischen ist Der Mann einkaufen gewesen. Wir kommen kurz vor Acht zu hause an. Die Kinder wollen nichts Vernünftiges essen, müssen sie auch nicht… wir ernähren uns von Mandarinen und Waffeln, manchmal darf man das auch. Erst zu Hause merke ich, wie müde mich so ein Tag gemacht hat... und der nächste Kapitel aus dem Gutenachtgeschichtebuch ist diesmal auch ungewöhnlich lang. Erst nach Zehn sind die Kinder im Bett.

Und es ist erst Dienstag gewesen… es stehen noch ein paar ungewöhnliche Tage vor… eigentlich gibt es nur heute Hoffnung, dass der Tag normal (=langweilig) laufen wird.

Comments

  1. Liebe estländische Blogschreiberin,
    ich hoffe, Du hattest einen schönen langweiligen Tag heute:-))
    Wollte Dir nur mal mitteilen, dass ich weiterhin sehr gerne bei Dir lese. Danke!
    Liebe Grüße, Heidi

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    1. Liebe Heidi, vielen Dank für die guten Worte. Ja, der Tag war schön langweilig und ruhig. Morgen wird unsere Routine wieder Kopf stehen.

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