Ein Telefonat

"Hallo-o?"
Eine kultivierte Frauenstimme, keinen Tag älter als 60. Streng, humorvoll, freundlich.
Nachdem wir festgestellt haben, dass wir wirklich miteinander sprechen, fragen wir genau gleichzeitig: "Und wie geht es dir?"
Schmunzeln an beiden Enden.
Sie sagt: "Na, wenn man schon achtzig ist, dann fühlt man es schon hier und da, aber im allgemeinen geht es mir gut. Und bei euch?"
Es folgt das Aufzählen von Kindern und alten Freunden, gewürzt mit vielmals: "Echt?", "Wirklich?", "Ach neee!" und "Das ist doch nicht dein Ernst!"
Wir sollten doch nächsten Sommer bitte wieder kommen. Oder im Herbst, in Estland gibt es ja sicher auch Herbstferien. Und im Januar wird sie uns ein Paket schicken, im Moment gibt es Weihnachtspost, dann packen die Postämter es nicht so mit den Paketen.
Dann müssen wir leider auflegen. Ich, weil es doch ein Ferngespräch ist, und sie, weil sie ihre Enkelin (die ist, glaube ich, 13 oder 14) irgendwohin fahren muss. Mit 80, obwohl ihre Telefonstimme so viel jünger ist.

Ich glaube nicht, dass meine liebe, liebe L. aus Gummersbach ein sehr viel einfacheres Leben gehabt hat als meine Mutter, die nur eine Woche jünger ist als sie, aber so viel älter lebt. L. ist wohl immer viel aktiver gewesen und hat sich nicht vor vielen Dingen gescheut… und ihre Lebensweise ist bestimmt auch immer sehr viel gesünder gewesen. Und sie hat Gott, meine Mutter nicht, aus freiem Willen. Leider. Und mit den eigenen Eltern ist es immer schwieriger als mit den Fremden - auch wenn sie eine treue Freundin ist, bin ich nicht ihre Tochter und ich sehe sie nicht im Alltag. Trotzdem… Ich möchte im Alter auch fit und munter sein. Dann muss ich wohl jetzt damit anfangen, denn es wird dauern, sich gute Angewohnheiten anzugewöhnen.

Und vielleicht… sehr vielleicht… sehen wir uns mit L. doch noch nächstes Jahr.

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