Was ich von meiner chronischen Herzmuskelentzündung gelernt habe

Vor einigen Jahren war der Jüngste gerade zwei Jahre alt, da habe ich Tonsillitis gekriegt. So richtig schlimm, so dass ich nachts vor Schmerzen nicht schlafen konnte. Leider glaubte meine (neue, junge) Ärztin* nicht an Antibiotika, obwohl ich ihr über meine Kindheitserfahrungen mit Tonsillitis erzählte. "Der Körper muss doch mit sowas selbst klar kommen," sagte sie mit mit einem nennte Lächeln.

Der Körper ist mit sowas gar nicht klargekommen. Der Körper hat Arthritis bekommen und darauf auch Herzmuskelentzündung. Eine andere, nicht lächelnde Ärztin in der Uniklinik hat dann gesagt, die Mandeln müssen raus, aber das mit dem Herzen wird chronisch, da kann man nichts machen. Durch eine Reihe von Zufällen konnte ich meine Mandeln doch behalten, sie sind aber irgendwann so klein geworden (haben sich wohl gefürchtet?), dass meie neue, erfahrene, vertrauenswürdige Ärztin sie bei einer Untersuchung zuerst gar nicht finden konnte.

Das mit dem Herzen wurde doch allmählich besser. Zuerst war auch die Kaffeetasse viel zu schwer, nach etwa sechs Monaten konnte ich schon ein paar Schritte rennen. Vor ein paar Jahren hat mir die erfahrene Ärztin gesagt, es gäbe kein Zeichen mehr, dass da etwas nicht stimmt.

Vor Weihnachten ist es dann zurück gekommen. An einem anstrengenden Tag dachte ich drei Male nach, ob ich doch vielleicht einen Notarzt brauche. Ich hatte aber wirklich keine Lust, ins Krankenhaus zu gehen, denn aus ihnen kommt man gar nicht so einfach raus. Besonders, wenn man so manche Symptome vom Herzanfall hat (aber nicht alle!). Später hat mir eine Freundin, deren 15jähriger Sohn unter Herzmuskelentzündung leidet, erzählt, dass man es in leichteren Fällen gar nicht so einfach erkennt. Aber die plötzliche Müdigkeit "aus dem Nichts" ist eins von den sicheren Symptomen, wenn man schon Herzprobleme gehabt hat.

Also ist es doch chronisch und ich muss wohl damit leben. Während den letzten acht Jahren habe ich es schon genung geübt.

Es ist halt so, dass die estnischen Frauen immer alles machen. Die ganze Zeit. Sei es Haushalt oder Gartenarbeit, Bauen oder Kinderbetreuung - es muss immer alles selbst gemacht werden. Und natürlich muss eine gute Frau auch Vollzeit arbeiten, eine sehr gute Frau macht auch immer Überstunden."Nur" Hausfrauen und Mütter werden schief angeschaut, die Kinder müssen doch so schnell wie möglich in die Kita und und und.

Ich will es nicht, ich kann es nicht. Und mit meinem Herzmuskel darf ich es wohl auch nicht mehr.

Ich gehe nur Halbzeit arbeiten, das heisst, ich bin drei Tage in der Woche in der Schule.

Ich mache zwar viel im Haushalt, aber Vieles lasse ich auch so. Es sind ja auch Der Mann und die Kinder da, die können auch mal den Boden saugen oder so. Machen sie übrigens auch.

So manche Dinge mache ich bewusst langsamer als früher. Ich laufe nicht mehr so schnell, eher spaziere ich durch die Stadt oder durchs Einkaufszentrum. So spazieren kann ich kilometerlang. Es dauert zwar, aber so habe ich auch morgen Kraft, um zu atmen (ja, in schlimmeren Momenten muss ich schon nachdenken, ob sich der nächste Atemzug lohnt oder ob es doch viel zu viel Kraft verlangt).

Wenn Schluss ist, ist Schluss (wenn es irgendwie geht). Ich kann auch eine Beschäftigung kurz vor dem Ende liegen lassen - Brennholz in die Scheune bringen oder so etwas -, wenn ich merke, dass es nicht mehr geht. Die Grenzen und auf mein Körper hören sind für mich sehr wichtig geworden.

In den letzten Wochen habe ich mir vorgenommen, an meinen "freien" Tagen immer eine Stunde körperliche Arbeit zu machen. Eine Stunde. Ruhig und bewusst. Erstens ist es wahrscheinlich gut für meine Figur (Grösse 42-44, möchte gern wieder 40 sein), zweitens ist es vielleicht auch gut für mein Herz. Sport wegen Sport kann ich nicht ausstehen, aber eine Stunde Schnee räumen oder im Garten graben ist doch sinnvoll. Dann ist später auch was gemacht worden, das man sehen kann.

Und so muss ich auch nicht wirklich nachdenken, ob ich atmen soll oder nicht.

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*ich gehe seit Jahren nicht mehr zu ihr. Sie hat es nicht mit Absicht gemacht, ich glaube, es fehlte ihr an Erfahrung und an Glauben, dass ich eigentlich ziemlich gut weiss, was mit meinem Körper passiert.

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