27 Jahre später ist alles noch immer dasselbe

Was Tauschschüler angeht.

Vor (fast) 27 Jahren stand ich in einem deutschen Bahnhof mit meinem Koffer da und wartete auf die Ungewisse. Die nächsten 2 Wochen - oder waren es 10 Tage? weiss ich nicht mehr - sollte ich in einer deutschen Familie verbringen, zusammen mit Ihrem Kind in die Schule und auf Ausflüge gehen, bei ihnen essen, was auf den Tisch kommt, schlafen… irgendwo in Haus... Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen wird.

Vor zwei Wochen kam ein französicher Junge in der stockdunkler Stadt aus dem Bus, müde und verwirrt von der langen Reise. Er wusste zwar, wie sein Gastgeber heisst und dass er zwei Katzen hat, aber nicht mehr. Auch er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukommen wird.

Eine lächelnde Frau kam auf mich zu und stellte sich als meine Gastmutter vor, ihre Tochter sei gerade woanders, aber wir könnten schon zu zweit nach Hause.

Auf den französischen Jungen kam einer zu, der jünger aussah als 14 (Der Älteste fängt gerade mit seinem Wachstumsschub an) und lotste ihn zum kleinsten aller Kleinwägen (wir fahren noch immer ein Opel Corsa) auf dem Parkplatz. Muss ich wirklich da rein, fragte der Franzose seine Lehrerin. Ja, er musste. Mit dem kein Französisch sprechendem Vater am Lenkrad ging es irgendwohin.

Meine damalige Gastfamilie war nett, aber so eine richtig gute Beziehung zu ihnen konnte ich nicht aufbauen. Die Tochter der Familie, die ich natürlich auch bald kennenlernen konnte, hatte andere Interessen als ich und wir fanden es immer wieder aus... staunend und achselzuckend.

Der Franzose hat seiner Lehrerin gesagt, wir seien nett zu ihm, aber so richtig passten er und Der Älteste nicht zusammen. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätten sie miteinander sprechen können… der Franzose war zu scheu, um Englisch zu sprechen, und Der Älteste traute sich nicht, seine Französichkenntnisse zu benutzen. Meistens kommunizierten sie über Google Translate, was doch nicht genug war...

Ich traute mich damals nicht, zu sagen, dass ich doch saubere Wäsche brauche. Da ich das Gästebad fast nur für mich hatte, habe ich meine Unterwäsche mit der Hand gewaschen und in die Dusche zum Trocknen aufgehängt…

Der Franzose traute sich überhaupt nichts. Nicht sagen, was er zum Essen mag, nicht duschen (am Anfang)…

Damals, in unserer Gruppe gab es Jugendliche aus verschiedenen Länder. Ich schliess Freundschaft mit einer Französin und dann konnte ich auch ihre Gastgeberin kennen lernen. Mit der fühlte es sich so an, dass wir vielleicht zueinander passen würden. Vielleicht.

Der Älteste sagte, er habe sich viel wohler in der Gesellschaft eines anderen Franzosen gefühlt. Der war aber bei einem Jungen aus 7c, den Der Älteste nicht so gut kannte. Es kann schon sein...

Als ich mich allein fühlte, konnte ich mit der Hauskatze reden. Die war gross, freundlich und sehr haarig.

Mit dem Franzosen sprachen (versuchten) und spielten moistens Der Jüngste und Der Mittlere. Besonders Der Jüngste war sehr freundlich.

Ich war damals 17 und sprach problemlos Deutsch, war aber noch nie länger ohne Eltern von zu Hause weg gewesen. Und ich kannte niemanden in der Gruppe, es gab nur einen Esten, mit dem ich aber nichts Gemeinsames hatte.

Der Franzose Tom war - ist - 13, sprach kein Englisch und konnte wohl nicht langsam Französisch sprechen, so dass wir ihn verstehen könnten. Er kam mit der Gruppe aus seiner Schule, er hatte seinen besten Freund und seine Englischlehrerin dabei - nur nicht bei uns!

***
Als Tom ging, waren Der Mann und Der Älteste im Bahnhof mit dabei. Die Mädchen hatten geweint, erzählte die Französichlehrerin. Tom gab Dem Ältesten und Dem Mann höflich die Hand und bedankte sich in Englisch. "Guck mal, einige von ihnen können doch sprechen!" kommentierte daneben ein Vater, den Der Mann und Der Älteste nicht kannten. Also war es für wenigstens eine Familie noch schwieriger als für uns.

Am Abend denselben Tages kam ein E-mail vom Schuldirektor. Es wird im Mai eine weitere internationale Gruppe kommen, und wir haben ja unterschrieben, dass wir zwei Jungs nehmen können… Stimmt, Der Älteste und Der Mittlere hatten mir mal irgendwelche Papiere gebracht. Diesmal aber kommen nicht nur Franzosen, sondern auch Kinder aus einigen anderen Nationen. Ich habe uns Österreicher bestellt, denn Deutsch sprechen wir alle. Aber dann müssen wir wohl uns das Auto meines Vaters ausleihen (Papa fährt selbst sowieso nicht mehr). Ich kriege dann unseren Corsa und Der Mann kriegt den Citroen Saxo meines Vaters. Der ist noch kleiner, aber ich kann wegen Schaltgetriebe damit nichts anfangen. Spannend wird es sein...

Comments

  1. Tere ohtust Estlandmama, kuidas läheb? Ich freue mich, dass es noch Schüleraustausch zwischen Deutschland und Estland gibt. Ich war ca. 1992 als ca. 13- oder 14jährige mit der Schule in Estland für zwei Wochen. Das war der größte Kulturschock meines bis dahin sehr behüteten Lebens, aber ich habe mich schlagartig in das Land verliebt. Meine Gastfamilie lebte damals in einem Holzhaus ohne fließend Wasser, aber sie haben mich mit ihrer Gastfreundschaft überwältigt. Wir hatten den Jungen dann auch bei uns in Deutschland zu Gast und haben mit Schüchternheit und "keinen Draht zueinander finden" ähnliche Erfahrungen gemacht wie ihr. Besser klappte es zwei Jahre später mit einem Mädchen, mit dem der Kontakt auch länger andauerte.
    Leider bin ich seitdem nie wieder dort gewesen, aber ein Foto aus dem Lahemaa-Park hängt bis heute in meinem Arbeitszimmer.
    Deswegen lese ich dein Blog so gerne, ein Stückchen Estland bei mir zuhause ;-)
    Nägemist, Anke.

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    1. Wie schön! Danke für den Kommentar! Ob und wo es Schüleraustausch zwischen Deutschland und Estland gibt, weiss ich nicht, aber es gibt wohl kreuz und quer solche Projekte durch ganz Europa. Sehr viele Esten - auch wir - leben noch immer in Holzhäuser, aber fliessendes Wasser haben die meisten doch.
      Das mit "nie wieder dort gewesen" kann man doch ändern, oder? Wir sind zwar weit weg vom Lahemaa-Park, aber bei uns gibt es auch viel Wald und Natur und es ist eigentlich gar nicht so weit aus Deutschland, ein paar Flug- oder so um die 20 Autostunden (oder 36 Stunden, wenn man Kleinkinder mit dabei hat und aus Tartu nach Gummersbach fährt, das haben wir in 2010 erlebt).

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    2. Wir sind damals mit dem Schiff zwei Tage von Lübeck nach Tallinn gereist. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, das Land eines Tages wiederzusehen und dann meiner Familie zu zeigen. Mir ist schon klar, dass sich das Land in den letzten 25 Jahren sehr verändert hat :-) Estland ist ja mittlerweile "hip" weil ihr alle so digital drauf seid und alles nur noch online macht. ;-)

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