Angst

Krieg dauert immer noch. Jetzt schon 25 Tage. Präsident von der Ukraine soll gesagt haben, wenn auch die nächsten Versuche, die Situation durch Diplomatie zu lösen, nicht gelingen - und so wird es höchstwahrscheinlich passieren - kommt es zum dritten Weltkrieg. 

Wir haben ja schon seit 9/11 gesagt, dass der dritte Weltkrieg schon angefangen ist... aber jetzt ist es hier. Ukraine ist von hier aus etwa so weit weg wie Warschau. Nach Kyiv sind so viele Kilometer (ungefähr) wie nach Lodz. Theo, wir fahr'n... wohin? In dieser verrückt gewordener Welt?

Angeblich haben Russen schon in irgendeiner Fernsehsendung gezeigt, wie sie Baltikum nehmen wollen. Jetzt noch sind die meisten russischen Soldaten und Panzer in der Ukraine, das Land hinter unsere Grenze soll von der Armee so leer sein wie noch nie, sagen unsere Experten... aber ich habe Angst. 

Angst um meine Kinder. Um meinen Mann. Um meinen Vater, der 89 ist und zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit allein lebt. Darum, dass wir vielleicht die Urne meiner Mutter nicht ordentlich begraben könne, falls... (weil die Wege auf dem Friedhof noch so voller Schnee und Eis sind, dass wir dort mit dem Rollstuhl nicht durch kommen - und mein Vater kann bestimmt nicht bis zum Grab laufen, der Weg ist zu lang für ihn) Angst um unsere Zukunft. Angst um Europa, das ich so liebe. Angst um die Welt. 

Wenn es dann uns erreichen würde... Gäbe es noch einen Platz, wohin zu fliehen? Und wie? Mit vier Katzen und einem 89jährigen? Ungeimpft, aber genesen* und testfreudig? Und kommt bitte nicht damit, dass junge Männer ihr Land verteidigen müssen... sie sind noch Pubertiere, haben ausser Sportbogen nie Waffen angerührt... und russische Soldaten töten in der Ukraine auch Kinder. Zielsicher, weil auch sie - zu guten Recht! - Angst haben und in jedem einen Feind sehen. 

Und trotzdem... habe ich gestern Tomatensamen gesät. Angeblich hat Martin Luther gesagt: "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen". 

Ich hoffe. Ohne Hoffnung würde das Leben sich wirklich gar nicht lohnen. Vielleicht. Vielleicht wird das Leben auch hier, am Rande der Zivilisation noch möglich bleiben. Vielleicht wird das historische Fehler, dass Russland nach Regeln mongolischen Khanen von Moskau aus regiert werden darf,  (wirklich! Kyiv-Russland war halbdemokratisch und sehr europäisch!), doch wieder korrigiert und Imperium des Bösen** wird fallen, jetzt und für immer. Wir haben hier ja heute noch Frieden. 

Gott, erbarme Dich... 


_______
*unsere Prämierministerin hat gesagt, dass es auf keinem Fall in Estland Impfpflicht geben wird. Das will ich gern glauben. Und Genesenenstatus ist hier natürlich 180 Tage. Seit Mittwoch brauchen wir es innerhalb Estlands sowieso nicht, aber was, wenn es kein Estland mehr gibt?

**russische Gastfreundlichkeit ist unglaublich und ich habe tolle Erinnerungen an Urlaub in St Petersburg vor 35 Jahren... aber politisch geht das Ganze dort gar nicht. Besonders nicht mit dem Voldemort, der aussieht wie Dobby. 

Comments

Post a Comment

Popular posts from this blog

Am 12. Oktober. Stürmisch, obwohl man es nicht sieht

Image
Heute ist wieder "12 am 12", denn heute werden hier Alltagsbilder gesammelt.  Hier zu Hause... habe ich erstmal komplett vergessen, dass heute der 12. ist. Und dann noch mehr vergessen, denn viele Schulen in Estland haben eine Terrorandrohung gekriegt, darunter auch 3 von 4 Schulen, wo meine Männer hingehen. Der Jüngste wurde nach Hause geschickt, die Schule des Älteste hatte nichts, die Schulen Des Mannes und des Mittleren sind nach dem ersten Schreck mit Unterricht fortgefahren. In Lettland gab es sowas vor ein paar Tagen.  Mit dem Jüngsten telefoniert, versucht, ihn zu beruhigen - denn so etwas hinterlässt ja ein mulmiges Gefühl -, habe ich gewebt. Auf dem Dachboden.  Inzwischen gab es Regesturm und Sturm im Allgemeinen.  Sieht gar nich nach Sturm aus.  Kleine Freya.  Und Millie. Aus irgendeinem Grund wollte meine Handy nicht so richtig... Ich habe Brennholz geholt... Durchnässte Rosen fotografiert... Und die Dahlien des Jüngsten, das ist, was mit Dahlien passiert, wenn n
Read more

Am 5. Dezember. Ungeschönt.

Um 7 Uhr am Morgen sind draussen -13'C. Ich mache Kaffee und Rührei für die grossen Jungs. Der Mann und ich essen Toast, der Jüngste hat eine Stück von Kürbiskuchen von Sonntag. Die Waschmaschine wollte wieder nicht schleudern. Ich versuche es dann mit halber Ladung - geht. Wenn wir das haus verlassen, schleudert es gerade die zweite Hälfte. In der Stadt lässt der Mann zuerst den Jüngsten, dann den Ältesten raus. Dann bin ich dran, die letzten hundert Meter kann ich wohl laufen. Im Literaturmuseum finde ich den Raum, den ich mit einer sehr alten, sehr netten Dame teile. Zuerst rufe ich den Computermann an, damit ich eine lokale E-Mailadresse und dadurch Zugang zum Computer kriege. Alles funktioniert. Noch lege ich eine Schachtel Konfekt hin, wer heute (oder morgen ins Zimmer kommt, kann welche haben, denn ich habe ja auch was zu feiern (mein letzter Beitrag...). Ich fange an zu arbeiten, irgendwann kommt auch meine Zimmernachbarin. Ich erzähle ihr, warum ich Süsskram mitgebracht ha
Read more

Am 12. Juli

Image
Auch heute kann man Bilder über den Tag machen und zeigen, wer mag. Hier kann man mehr sehen.  Let's talk about socks, baby... Es gab aber auch T-Shirts und sonstige Wäsche zum Aufhängen. Meinen Tomaten geht es gut.  Dem Salatbeet geht es auch gut.  Ich habe gewebt.  Nächstes Mal werde ich braun weben  Die Weisse Mini und Millie geniessen die Nachmittagssonne. Die schwarze Mimi bereitet sich vor, ins Zimmer zu gehen - während sie sich möglichst staubug macht.  Meine Männer bauen, der Mittlere macht hier was... Gipsplatte kommt an die Wand. Der Älteste hält es, er hat im Moment leider keine Haare... Ich koche und entdecke dabei Dill im Trauerform. Der wird aber nicht zum Kochen benutzt, sondern eingefroren.  Eine weitere Gipsplatte mag nicht.  Wir essen - Nudeln mit Tomatensosse, Hähnchenfleisch drin.  Nicht drauf: Zitronenkuchen. Auch nicht drauf: wie ich Wäsche sortiert habe. Auch nicht drauf: neugierige Schnurrhaare unter dem Küchentisch, während ich Fleisch geschnitten habe. Auc
Read more