Gerade gelernt, sofort nachgedacht

Beim Blogprojekt "12 von 12" lese ich die Beiträge immer nach und nach durch. Vielleicht 10 am Tag, vielleicht 20... Und an vielen Tagen gar nicht, ich versuche aber, bis zum neuen 12. alle durchgeschaut zu haben. Weil sie auf mich positiv wirken und weil sie schön sind. Dadurch habe ich so manche tolle Bloggerinnen "kennengelernt", die ich dann mehr oder weniger folge.

Heute bin ich auf Judith Oesterle (übrigens sehr sympatisch) aufmerksam geworden, die in einem vorigen Beitrag über Löffel-Theorie geschrieben hat. Hierzulande  sagen wir oft, dass man sich nicht mehr anstrengen sollte, wenn die eigene Tasse leer ist... geht in dieselbe Richtung, aber nicht so ganz. Jedenfalls ist diese Löffel-Theorie wunderbar formuliert und ich werde es ab jetzt benutzen. 

Ich habe über meine Energiereserven früher nicht so gut nachgedacht. Als ich während der Uni viel soziales Leben hatte und freiwillig arbeitete und studierte und Liebeskummer hatte und mit den Flickenteppichen (damals meistens von meiner Mutter gewebt) auf den Markt gegangen bin...  Dann  musste ich nur auf mich selbst achten. Es ging einfach. 

Dann zusammen mit Dem Mann, als wir Das Haus kauften und tagelang  renovierten, damit es einigermassen bewohnbar wird... Wir studierten und arbeiteten und renovierten. Und es ging.

Dann hatten wir Kinder, mit kleinen Altersabständen, alle gleichzeitig klein... und wir renovierten weiter und als Der Jüngste 18 Monate alt war, ging ich wieder zur Arbeit. War das falsch... Aber es ging doch ganz gut. 

Dann machten wir Homeschooling, ich ging arbeiten, Der Mann arbeitete, wir renovierten, wann wir Zeit hatten... Es ging.

Dann wurde ich krank. Es passierte im November 2015, auf einmal konnte ich gar nichts mehr. Unser Einkommen war etwas unstabil, deswegen konnte ich mich nicht krank schreiben lassen und es ging einigermassen - Fieber mit der Tablette runter, ins Arbeitszimmer gekrochen, hoffentlich angemessen gearbeitet, vielmehr nur gewartet, ob mich jemand braucht - es geht auch so, ich muss nicht unbedingt selbst dauernd Kontakt zu Schüler und Lehreinnen aufnehmen. Ich hatte  wahrscheinlich nichts Ansteckendes, es waren  eine extrem fiese Nasennebenhöhlenentzündung, eine Trigeminusneuralgie und ein wenig ansteckendes unbekanntes Virus (das für 10 Tage extrem hohes Fieber ohne weiteren Symptome verursachte, 3 Monate später hatte der Erstklässler unserer Freunde dasselbe, die Ärzte konnten nicht feststellen, was es genau war, sie konnten nur sagen, dass es  sich höchstwahrscheinlich um ein Virus handelt und der Körper es auskämpfen muss) auf einmal. Einen Monat lang dauerte es, erst am 4. Advent konnte ich wieder kochen und das Leben fing an, halbwegs normal zu werden. 

Auch danach habe ich nicht gelernt.

Erst mit der Demenz-Erkrankung meiner Mutter habe ich verstanden, dass ich dauernd von der geliehenen Energie lebe. Von der Energie, geliehen aus der Zukunft. Oder wie so manche Leute sagen: "Zum Schlafen gibt es genug Zeit im Grab!"

Seit 3-4 Jahre nehme ich ganz bewusst Zeit, um Nichts zu tun... oder ja, ich gehe im Garten spazieren. Oder ich spiele ein Spiel, am liebsten Geoguessr oder setze ein Puzzle zusammen (das geht aus Katzengründen leider nur auf dem Bildschirm). Ich gönne mir ein paar Zeitschriften. Stricken ist auch eine sehr schöne Auszeit und gibt mir Ruhe - irgendwann zwischen 2012 und 2016 konnte ich kaum stricken, weil ich viel zu angespannt war. Oder ich blogge. Bücher lese ich beim Stricken sowieso. 

Und... die Welt um mich ist nicht zusammengebrochen. Ich mache meine täglichen Haushaltsroutinen (Prioritäten: das Ganze um Essen*, Geschirr und Kleidung muss gemacht werden, alles Andere kommt, wenn es kommt) und ich nehme mir Zeit. Ich habe damit angefangen, als ich dachte, dass ich mich noch jahrelang um meine Mutter kümmern muss. Jetzt, fast 3 Monate nach Mutter's Tod bin ich noch immer etwas ratlos - wofür muss ich noch auf meine Kraft achten? Was muss ich mit den nächsten 10-15 Jahren** anfangen, wenn ich mich nicht um meine demenzkranke Mama kümmern muss?

Am Muttertag sass ich am Frühstückstisch und dachte, jetzt bin ich die einzige Mutter in der Familie. Hoffentlich werden die Jungs jung heiraten und uns viele Enkelkinder schenken, die wir lieben und verwöhnen dürfen... aber bis dahin gibt es bestimmt noch Zeit. Wenigstens anderthalb Jahre (falls der Älteste sich sehr bald glücklich verlieben und sofort nach seinem 18. Geburtstag heiraten*** sollte und die Liebe auch sofort Früchte trägt), aber eher 10 Jahre oder so. 

Ich muss mich noch immer um Mutter kümmern... um die Mutter meiner Söhne. Deswegen werde ich weiterhin auf meine Löffel achten. Und gesundheitlich... ja gesundheitlich steht ab heute Abnehmen auf dem Programm. Damit das Kleid der Mutter zum Hauptschulabschluss besser sitzt, denn wegen ein bisschen Gewichtzunahme neue Kleidung zu kaufen ist sinnlos und was muss ich dann zum Uniabschluss des Jüngsten anziehen, gibt es festliche Zelte?

Damit ich selbst gesund bin. Damit ich weiterhin meinen Kindern helfen kann, wenn sie bei den Schularbeiten Hilfe brauchen. Damit ich einigermassen ruhig bleiben kann, wenn sie etwas anstellen. Damit es vielleicht etwas schöner aussieht hier zu Hause. Damit wir mit den steigenden Preisen und nichtsteigenden Löhnen doch klarkommen. 

Und damit ich ab und zu auch Energie für die Leute ausserhalb meiner Familie habe. Die Frauenabende für Flüchtlinge aus der Ukraine waren bestimmt nett, aber jetzt freue ich mich auf freie Mittwochabende, wenigstens für eine Weile. 

Für heute habe ich wieder so einige Pläne... aber von den Energielöffeln muss bis zum Abend reichen, dann kommt nämlich ein Bagger wegen Gewächshausbau und ich muss den auf die richtige Stelle lotsen... falls Der Mann nicht vorher nach Hause kommt (Daumen gedrückt!). Was mich natürlich immer sehr gut hilft, ist beten. Und - da ich heute allein zu Hause bin - Lobpreislieder singen. Und Gott danken, wofür es geht.

Jetzt geht erstmal die Wäsche auf die Wäscheleine. Das Wetter ist herrlich, es wird heute warm, der verrückte Auerhahn ist auf dem Weg zur Genesung (will nicht mehr so viel angreifen)... danke an Gott für dieses grossartige Segen!

Haben Sie einen gesegneten Tag und achten Sie gut auf Ihre Energielöffel!

__________

*Der Mann und die Kinder kochen ab und zu, die Spülmaschine und Waschmaschine sind nur meine Verantwortung, aber wenn es bei mir gar nicht geht, gebe ich Anweisungen, wie es dann gemacht werden muss.

** Ich komme aus einer Linie langlebiger Frauen. Dass Mutter mit nur 83 Jahren von uns gegangen ist, ist noch immer schockierend - aber andererseits, ihr Demenz entwickelte sich auf einmal so unglaublich schnell...

***es kommt nicht oft vor, aber ist in unserem Bekannteskreis auch nicht komplett unmöglich. Mehrere Bekannte von uns und ihre Kinder haben mit 19 oder 20 geheiratet und es ist immer sehr gut gegangen.


Comments

  1. Ich habe mich gerade gewundert, woher heute so viele Blogleser*Innen kamen. Und dann sagt meine Statistik mir, dass sie von deinem Blog kommen. Wow! Ich danke dir! Und wünsche dir von Herzen alles Gute. Herzliche Grüße, Judith

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  2. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Ich schau dann auch zu Frau Oesterle rüber. LG Tanja

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